Hyperkorrektur ist ein sprachliches Phänomen, das immer dann auftritt, wenn jemand ausnahmsweise einmal eine Regel kennt und dann auch alles ganz besonders richtig machen will. Die Gründe für diese Überkorrektheit sind ein Forschungsgebiet für sich, tragen coole Namen, wie „Labov-Hyperkorrektur“ oder auch die „Virustheorie“ und füllen Bücher so dick wie Traktorreifen. Ein solcher Sprecher (und dazu gehören wir vermutlich alle einmal) korrigiert auch Dinge, die mit dieser Regel nichts zu tun haben, regelkonform. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Aussprache des Buchstabens „v“ im Englischen von vielen deutschen Muttersprachlern: Das breite, eher wie ein „u“ klingende englische „w“ wird, aus lauter Angst, versehentlich zu deutsch zu klingen, auch auf das „v“ angewandt, was aber gänzlich falsch ist. Das englische „v“ spricht sich genauso wie das deutsche „v“ in Wörtern wie „vegetarisch“ oder „Visier“.
Auch die Aussprachen des Deutschen wird häufiger überkorrigiert als man glaubt: Unser ehemaliger Bundeskanzler Helmut Kohl stammte aus einer Gegend, in der so ziemlich jedes „ch“ wie ein „sch“ ausgesprochen wird. Bei dem Versuch, Hochdeutsch zu sprechen (und ja, ich denke, beim Versuch ist es geblieben), ersetzte er viel zu viele seiner eigentlichen „sch“ durch ein „ch“. Heraus kamen Wörter wie „griechich“ oder „Gechichte“.
Aus einer Hyperkorrektur kann sich, wenn sie häufig genug und möglichst flächendeckend angewandt wird, auch eine tatsächlich gültige Form entwickeln. Anders ausgedrückt: Wenn es nur genügend Leute verkehrt machen, gibt die eigentliche Regel irgendwann ganz einfach auf.
Ein Beispiel im Englischen wäre die mittlerweile teilweise anerkannte Aussprache des Buchstabens „h“ als [heɪʧ] anstatt [eɪʧ]. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Dialekte, wie beispielsweise das Cockney, den Buchstaben „h“ oft nicht mit aussprechen (also „Ello my Oney!“ sagen, statt „Hello my Honey!“), was Sprecher, die Wert auf eine gute Aussprache legen, zu vermeiden versuchen, indem sie mit überflüssigen „h“s um sich werfen wie Clowns mit Konfetti. Tatsächlich fällt es uns heute schwer, uns vorzustellen, dass die gängige Aussprache des Wortes "hospital" as einer Hyperkorrektur hervorgegangen ist: "Hospital" ist ein aus dem Französischen stammender Ausdruck und wurde daher ursprünglich genausowenig aspiriert wie "heir" oder "honest". Im Fall des Buchstabens „h“, der selbst völlig ohne „h“ gesprochen wird, was ja in sich ein bisschen absurd ist, kann man dies allerdings gut nachvollziehen.
Hyperforeignismen sind Hyperkorrekturen, die sich auf die überkorrekte Aussprache von Fremdwörtern beziehen. So kennt man die Laute „tsch“ und „dsch“ aus dem Italienischen in Verbindung mit den Buchstaben „c“ und „g“, nicht aber die entsprechende Regel dazu, und kreiert folglich Lautchimären wie „Gnotschi“ (Gnocchi), „Latte Matschiato“ (Latte Macchiato) oder „Lambordschini“ (Lamborghini). Hyperschlimm ist so etwas übrigens in Verbindung mit einem Sprecher, der sich dabei für besonders gebildet hält.
Auch in der Grammatik begegnet uns die Hyperkorrektur: So wird im Deutschen die Vergangenheitsform von „winken“ gerne analog zu „trinken“ oder „sinken“ gebildet, was zwar nachvollziehbar ist, die Sache jedoch nicht richtiger macht. Es heißt trotzdem gewinkt und nicht gewunken.
Wo wir aber gerade bei „trotzdem“ sind: Trotz verlangt nicht (!) zwingend nach einem Genitiv! „Trotz dem schönen Wetter blieb ich im Haus.“ Ist absolut in Ordnung. Trotzdem (und nicht „trotzdessen“) wird immer wieder der Genitiv eingesetzt, weil man ihn für die gebildetere Form hält. Und auch hier erleben wir das Phänomen, das wir schon heim „h“ gesehen haben: Die Genitiv-Variante ist inzwischen auf dem besten Weg zur Standardform. Sogar in Wendungen mit „gemäß“, das nun wirklich keinen Genitiv in seiner Nähe sehen möchte, hat dieser beschlossen, dem Dativ sein Tod zu werden.
Im Englischen finden sich dafür gemetzgerte en-Endungen, aufgrund der Unterscheidung zwischen dem Gerundium (endet auf ing) und dem Verbal Noun (endete vor langer, langer Zeit, als die Götter noch unter den Menschen wandelten, einmal auf „en“). Standard-Englisch nutzt nun das "ing" für beide Formen, einige Dialekte behielten statt dessen das „en“ bei und verdrehen nun bei dem Versuch, wie ein Sprecher der Standardsprache zu klingen, unnötig viele en-Endungen zu ing. "I have seving chicking, you know?"
Auch die Regel, man dürfe einen Satz im Englischen nicht mit einer Präposition beenden („Who shall I give the grammar textbook to?“ versus „To whom shall I give the grammar textbook“) ist keine solche. Das heißt, doch. Die Regel ist bombenfest. Im Lateinischen. Weshalb sie immer wieder der englischen Sprache übergestülpt wird? Weil die Sprache der Gelehrten eben lateinisch war und man sich mal wieder für oberschlau halten konnte, indem man sprach wie Yoda. Naja, wer’s braucht….
Für alle anderen gilt der alte Witz vom Touristen, der nach Harvard kommt und einen Studenten fragt. „Excuse me, do you know where the library is at?“ Der Student: „Have you never been told not to end sentences in a preposition?“ Daraufhin meint der Tourist „Sorry man: Do you know where the library is at, you pretentious arsehole!“
Viele Grüße
Das fröhliche Apostoph